Nachwort von Käthe Braun-Prager (S. 126) Von dieser großen Liebenden strömt das Unsägliche der höchsten geistigen und persönlichen Menschlichkeit aus. Wer ihre Bücher liest, sucht ihre Nähe (ihre besten Freunde erwarb sie sich durch ihre Werke), und wer vorerst in ihren Atemkreis tritt, der nimmt nachher die Bücher zur Hand und erlebt die Beglückung der so ungemein seltenen Einheit von Wesen und Werk: die Dichterin und Philosophin der Liebe ist auch die große Liebende im Leben. Wenige sind berechtigt, das Wort "Liebe" auszusprechen, ganz wenige aber, darüber zu schreiben. Diese Frau darf es, denn sie hat die Gnade erfahren: immer rang sie mit dem Verstand, wenn er das Gefühl überwuchern wollte. Dieser Gedanke liegt dem ergreifenden Roman "Pipin" zugrunde. Durch alle ihre Werke zieht sich die gleiche Linie: Einleitend führt der Intellekt den Leser liebend durch die Wissenschaft, die sie so zart zurechtlegt und so sorgsam auswählt, daß schon die Beispiele, die sie zum Verständnis des Themas gibt, das Herz, das sich später erschließen wird, bereits ankündigen. Ihre Polemik, die vom Verstand ausgeht, wird so geführt, daß man Gegnerschaft nie als Feindschaft empfindet. Bei jedem Werk kann man nun von Kapitel zu Kapitel beobachten, wie sich das Herz immer mehr zu erkennen gibt. "Glücklich, wer in seiner Individualität das Instrument besitzt, auf dem die Welt mit ihrem ganzen Reichtum spielen kann! Ihm wird auch die Geschlechtlichkeit ein Mittel sein, das Innerste des Lebens zu fassen, sein schmerzliches Leiden und seine berauschendste Seligkeit, seinen furchtbarsten Abgrund und seinen strahlendsten Gipfel." So schließt das erste Werk" Zur Kritik der Weiblichkeit", noch nicht ganz losgelöst aus dem Bezirk des streitbaren Verstandes. "Geschlecht und Kultur" aber läßt im Schlußwort noch einen tieferen Einblick in ihr reiches Herz gewähren: "Von allen anderen Wesen getrennt durch die Schranke des Ichs, erfährt der Mensch, der die Liebe erlebt, mit der Überschreitung dieser Schranke das Höchste, was ihm seine endliche Natur bieten kann. Er tritt in eine Welt ein, in der das Menschentum seine wunderbarsten Gaben entfaltet – in die Ideenwelt der Liebe. Und wenn es ein Zeugnis gibt, das den Weg der menschlichen Entwicklung zu höheren Daseinszuständen beglaubigt, so ist es diese Ideenwelt." Und ganz in diese Welt eingedrungen, schließt Rosa Mayreder ihre kleine tiefe Schrift "Ideen der Liebe" mit folgenden Worten: "Die Liebe als die tiefste Störung der Gemütsruhe, als der an Erregung reichste Seelenzustand ist auch der fruchtbarste, der lebensvollste. Es gibt nichts außer ihr, was in diesem Maße die Totalität der Lebensempfindung steigert, den einzelnen über sein begrenztes Eigenich hinausführt und doch zugleich das Gefühl seiner selbst so sehr bereichert." Immer wieder wird Liebe lebendig, wohin dieser große Blick trifft, und so ist es auch nicht erstaunlich, wenn die hier geladenen Freunde, Kenner und Bewunderer der Gefeierten vorerst auf das große Herz dankbar hinwiesen. "Der Aufstieg der Frau" ist der Aufstieg zu einem Gipfel, den nicht alle Frauen erklommen haben und erklimmen werden. Rosa Mayreder beweist durch Werk und Wesen, daß der Aufstieg über die erkämpfte Bildung zum großen Ziel: dem Herzen führen muß. Sie hat den Gipfel erreicht, der als Höchstes für die Frau anzusehen ist. Sie ist nicht am Wege stecken geblieben; vollgesogen den Blick mit dem Wissen um die Welt, kehrt die reiche Seele heim zur Liebe. In ihrem noch ungedruckten hochbedeutenden Lebensbuch sagt sie selbst: "Es gehört zu den schönsten Erlebnissen, einem Menschen zu begegnen, bei dem die Kraft des Herzens die der Verstandes-Klugheit besiegt." "Ehre die Freiheit deines Herzens! Dieses Allerheiligste deines Innenlebens soll niemals der profane Fuß einer schlechten Erfahrung betreten, immer soll es vor dem nüchternen Blick der Lebensklugheit verschlossen bleiben." "Wer lieben will, darf mit seinem Erkennen nicht in alle Winkel der menschlichen Seele hinableuchten, sonst sieht er zuviel Verächtliches und Hassenswertes. Aber vielleicht muß man über die Stufe des Erkennens, auf der diese Werte regieren, hinaus sein, um die Stufe der Menschenliebe zu erreichen, auf der das Erbärmliche nur mehr als das Erbarmungswürdige erscheint. Und so wäre die höchste Erkenntnis, vor der sich die letzten Zusammenhänge des Lebens entschleiern, identisch mit der höchsten Liebe." Als erschütterndes Bekenntnis eines Menschen, der von Liebe weiß, sie dieser Ausspruch noch angefügt: "Kennst du das Gesetz der Liebe? Nur wer es erfahren hat, kann es verstehen: was du sündigst, das muß ich büßen und was ich sündige, das mußt du büßen." Erübrigt es nicht da der Worte des Herausgebers, wenn er die Gefeierte durch diese, ihre eigenen Worte sich selber so herrlich erschließen läßt? Scheint nicht alles unzulänglich was man hier nachempfindend, noch so liebend, aussagen kann? Dankbarst lehnen wir im Schatten dieser hohen, hellen Seele. Käthe Braun-Prager |