....Fortschreiten
von unvollkommenen Formen zu vollkommeneren ist der Weg der Natur
oder, wenn man einwendet, daß "vollkommener" eine
menschliche Bewertung sei, von einfachen zu immer komplizierteren.
Warum aber sollte die anthropomorphistische Betrachtung gegenüber der
Natur nicht erlaubt sein? Versteht es sich nicht von selbst, daß der
Mensch das Maß aller Dinge ist? Die Natur hat ihn als Richter in die
Welt gesetzt, in dem sie ihm die Wertungsanlage einpflanzte. Vom
Menschen aus gesehen, sind die aus älteren Erdperioden
übriggebliebenen Tiere gleich ihren ausgestorbenen Vorgängern
ungeschlachte Versuche planetaren Formtriebes, der noch die wuchernde
Materie nicht meistern konnte. Und stimmt diese menschliche Bewertung
nicht mit jener der Natur überein, die von niedrigeren nach immer
höheren Lebenserscheinungen trachtet? Die Pflanze an sich steht
organisch höher als der Stein, weil sie auf Reize zu reagieren
vermag, das Tier höher als die Pflanze, weil es eigene Impulse der
Bewegung besitzt, das warmblütige Tier höher als das kaltblütige,
weil es unabhängig von der Temperatur der Umgebung aus sich selbst
die nötige Wärme erzeugt, der Mensch höher als das Tier, weil er
über das elementare Geschehen hinaus neue Lebensbedingungen zu
schaffen vermag. Das ganze Reich der Natur ist eine Hierarchie
aufsteigender Lebensformen; verfolgt man die fortschreitende
Komplizierung des organischen Apparates in der Richtung eines Zieles,
so gelangt man zum menschlichen Gehirn, aus dem die höchste Bewußtseinsleistung hervorgeht.
VII
Es scheint, als vollziehe sich Entwicklung am sichtbarsten an der
spätesten Schöpfung der Natur, dem menschlichen Gehirn. Innerhalb
weniger Jahrtausende hat sich die Art des Denkens sowie das Erkennen
selbst, besonders aber das Tempo des Erkennens, der Auffassung, und
auch die Empfänglichkeit für Eindrücke merkbar verändert.
Zu
Beginn der geschichtlichen Zeit, in den ersten, durch Schriftzeichen
vermittelten Überlieferungen ist denkerisches und künstlerisches
Gestalten noch nicht voneinander geschieden; religiöse Empfindungen
begleiten das Denken, und alles, was damit zusammenhängt, trägt den
Nimbus der Heiligkeit. Als Geheimlehre werden die höchsten
Erkenntnisse gehütet, die nur den Eingeweihten zugänglich sind und
auch ihnen mehr in Gestalt mythischer Symbolik als in Gestalt
begrifflichen Ausdrucks.
Über
die mythenbildende Phantasie hinaus, wächst erst allmählich im
Intellekt die Fähigkeit zu begrifflicher Darstellung der Erkenntnisse
heran. Welche Umschweife, was für langatmige Wiederholungen
erforderte die Mitteilung von Gedanken in den ältesten uns erhaltenen
Dokumenten dieses Bemühens! Noch in den Gesprächen Buddhas oder in
den Ausführungen des Buches Hiob, zeitlich nicht sehr weit von uns
entfernten geistigen Leistungen, herrscht eine heute kaum den
denkfremden Volksschichten eigene Umständlichkeit. Sogar die
sokratische Methode der Beweisführung, deren sich ein Denker
höchsten Ranges wie Plato bediente, könnten auf Schwierigkeiten der
verstandesmäßigen Mitteilung schließen lassen. Sicherlich aber
würde das Tempo nach die "Mäeutik", die
"Hebammenkunst" des Sokrates, dem modernen Denken nicht mehr
entsprechen....
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